Da mein Beitrag zum Kurzgeschichtenwettbewerb sehr positiv aufgenommen worden ist, habe ich beschlossen, Scarletts Geschichte unabhängig des Wettbewerbs fortzusetzen.
Nicht jedes Kapitel wird ausufernd lange oder sehr actionreich sein. Ich möchte mir auch die Zeit nehmen, um meine Charaktere auszuarbeiten und vorzustellen. Also wird es auch ruhige Passagen geben. Aber natürlich habe ich auch schon einige Idee für spannende Action - innerhalb und außerhalb des Netzes!
Um Verwirrung zu vermeiden, fange ich natürlich wieder mit dem ersten Kapitel an, das ich ursprünglich für den Wettbewerb geschrieben habe.
Ich freue mich sehr über jegliches Feedback, egal ob positiv oder konstruktiv kritisch. Also immer her damit! Nur so kann ich besser werden.
Und nun wünsche ich euch viel Spaß mit Scarlett und ihren Erlebnissen in Night City!
Kapitel 1
Der kleine Raum war plötzlich für eine Sekunde taghell erleuchtet und es krachte laut. Scarletts Ohren klingelten und sie nahm nur wage das Rumpeln der Körper wahr, die soeben links und rechts von ihr auf den Boden aufschlugen. Die Körper ihrer Weggefährten.
Vor Scarlett standen zwei große und breite Typen, die jeweils eine schwere Pistole im Anschlag hielten. Beide trugen teure schwarze Anzüge mit ebenfalls schwarzem Hemd und Krawatte und selbst im wenig beleuchteten Nachtclub hatte keiner von ihnen seine Sonnenbrille abgelegt.
„Style ist eben alles.“, hatte sich Scarlett noch vor ein paar Minuten gedacht.
Außer der verchromten Hand des Kerls links von ihr konnte Scarlett zwar keine Cyberware an ihnen erkennen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Unter der schicken Kleidung, die vermutlich teurer als ihr gesamter Besitz war, konnte sich so einiges verbergen. Alles an ihnen schrie förmlich nach Konzern-Bodyguard! Subtilität war definitiv nicht ihr Ding.
Und dann war da natürlich auch noch ihr eigentlicher Auftraggeber, der neben seinen Gorillas stand und die Show beobachtete. Er lächelte und sah Scarlett direkt an. War es das nun auch für sie? Eine Geste genügte und die Pistolen würden ein weiteres Mal sprechen. Die junge Frau schloss ihre Augen und atmete einmal tief durch. Dabei fragte sie sich, was eigentlich schief gelaufen war.
„Scarlett?“
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter.
„Hey, Scarlett! Aufwachen! Wir sind gleich da.“, sagte Rexx lauter als nötig gewesen wäre.
Eine Strähne ihres leuchtend-roten Haares fiel ihr ins Gesicht, als sie ihren Kopf ruckartig zu ihrem Kumpel drehte. Sie sah ihn für einen Augenblick verwirrt an, was durch die eigenwillige Haarsträhne noch verstärkt wurde.
„Ja. Ja, ich weiß.“, murmelte Scarlett und drehte ihren Kopf wieder Richtung Fenster des kleinen Autos, in dem sie zu dritt saßen.
Sie hing noch immer ihren Gedanken hinterher, während die vielen Neonlichter der Stadt vor ihren Augen vorbei rauschten. Night City war so anders als ihre Heimat und auch nach sechs Monaten fühlte sie sich hier noch immer nicht zuhause. Vor allem nicht in Watson. Das heruntergekommene Viertel war auf keinen Fall der Ort, an dem sie ewig leben wollte. Auch wenn sie es geschafft hatte, relativ schnell Fuß zu fassen. Scarlett war sicher nicht die Sorte Frau, die gut darin war, andere Menschen kennenzulernen. Zumindest nicht außerhalb des Cyberspace, in dem sie sich sicher und stark fühlte. Andere, echte Menschen waren eigentlich nicht ihr Ding.
Und doch saß sie hier mit Rexx und Horg gemeinsam im Auto und fuhr einem weiteren Job entgegen, für den sie die Sicherheit ihrer kleinen Bude hatte verlassen müssen. Zumindest wusste Scarlett, dass sie sich auf ihre Begleiter verlassen konnte, was in ihrem Beschäftigungsfeld mehr wert als ein gefüllter Credchip war.
Die Rothaarige löste ihren Blick von dem Wirrwarr aus Farben und wandte sich ihrem Cyberdeck zu, das zwischen ihr und Rexx auf dem Rücksitz des Wagen lag. Sie nahm es auf und checkte es schnell und offensichtlich kundig noch einmal durch. Es durfte nichts schief gehen! Der Job war wichtig, gut bezahlt und vor allem eins: Ein Kon-Job! Scarlett träumte schon lange davon für einen Konzern zu arbeiten und irgendwann ganz oben zu sein. Andere verabscheuten die Konzerne und ihre Machenschaften, aber sie wollte dazugehören. Dieser Job konnte vielleicht die erste Stufe der Karriereleiter sein. Also musste alles perfekt laufen.
Der Wagen bog in eine dunkle Gasse ein und hielt.
„Wir sind da.“, rief Horg vom Fahrersitz aus nach hinten.
Wenn es eines gab, das Scarlett an ihren Jungs kritisieren würde, dann, dass sie immer zu laut redeten. Aber es gab wohl Schlimmeres als ihr ständiges Rufen, also versuchte sie es so gut es ging zu ignorieren. Vielleicht war auch die Stadt daran schuld, die mit ihrer Lautstärke dazu animierte, die Umgebung bei Gesprächen zu übertönen.
„Scarlett, du schaltest die Sicherheit aus.“, begann Horg damit, wie üblich ihren Plan nochmal durchzugehen.
„Ich will nicht der Star auf ihren Überwachungsvideos sein. Kapiert? Rexx kümmert sich um den Rest.“
Rexx war ihr Sicherheitsexperte und verstand sich hervorragend darauf, einen Ort ungesehen zu betreten und ihn ebenso - mit mehr Besitz als zuvor - wieder zu verlassen.
„Wir brauchen dich heute aber auch vor Ort. Du musst die Daten extrahieren. Wir gehen das Risiko nicht ein, dass Rexx von einem ICE gegrillt wird.“, führte Horg weiter aus.
Das war der Teil, der Scarlett weniger gefiel. Vor Ort zu sein bedeutete, sich der Gefahr völlig auszusetzen. Aber wofür hatte sie sonst eine Pistole?
„Besser haben und nicht brauchen als umgekehrt.“, hatte ihr Rexx mal gesagt.
Und sie stimmte vollkommen zu. Dank ihrer beiden Gefährten war Scarlett auch nicht völlig unbrauchbar mit einer Waffe in der Hand. Nur hatte sie bisher noch nie auf andere Menschen geschossen. Aber machte es wirklich einen Unterschied, ob sie im Cyberspace oder in der echten Welt kämpfte? Beides konnte Menschen töten. Allerdings wirkte es im Netz weit weniger real und sie konnte die Konsequenzen ihres Handelns in der echten Welt nicht sehen.
„Keine Sorge, ich passe auf euch auf.“, fügte Horg mit einem gewinnendem, selbstsicheren Grinsen hinzu.
„Also los.“, sagte Scarlett mehr zu sich selbst als zu den zwei Männern, bändigte ihre langen Haare mit einem Haargummi und stöpselte das Kabel ihres Decks in die Datenbuchse an ihrer rechten Schläfe ein. Sogleich wechselte ihre Bewusstsein von der realen in die Virtuelle Welt.
Das Ziel war schnell gefunden und nicht zu übersehen. Eine mittelalterliche Burg ragte über weiteren, nicht außergewöhnlich designten Netzwerken auf. Als sich Scarlett in Form einer kleinen, lodernden Flamme näherte, erkannte sie auch einen passenden Wassergraben um die Burg herum. Natürlich war die Zugbrücke geschlossen und auf den Zinnen konnte man zwei gerüstete Wachen patrouillieren sehen.
„Da war jemand wirklich kreativ.“, dachte sich die Frau, während sie ihr Tarnprogramm startete.
Mit dem ICE in Form der Wachen wollte sie keine Bekanntschaft machen. Immerhin hackte sie sich gerade in eine Einrichtung von Arasaka ein, falls ihre Infos korrekt waren. Und davon ging Scarlett natürlich aus. Immerhin hatte sie sie selbst besorgt.
Nach einigen Augenblicken änderte sich ihr Icon zu dem einer Königin, stilecht in ein scharlachrotes Gewand gekleidet. Der gefälschte Adminzugang war angelegt und als sie sich auf die Zugbrücke zubewegte, begann sich diese zu senken.
„Geschafft“, jubelte Scarlett innerlich auf und loggte sich aus.
„Es kann losgehen!“, berichtete die Rothaarige, während sie den Stecker aus ihrem Kopf entfernte.
Kurz darauf fanden sich Horg, Rexx und Scarlett in den Korridoren der unterirdischen Einrichtung wieder. Die Hintertür, welche Scarlett für sie gehackt hatte, führte direkt in den Keller des Gebäudes. Weder im Cyberspace noch irgendwo außerhalb hatte irgendwas auf eine Konzerneinrichtung hingewiesen. Was auch immer hier veranstaltet wurde, es war sicher nicht offiziell!
Jetzt war Rexx an der Reihe, seinem Metier nachzugehen und so setzte sich dieser an die Spitze des Trios. Scarlett hielt sich in der Mitte, während Horg nach hinten absicherte. Sein Sturmgewehr schindete mächtig Eindruck, ebenso wie sein rechter, von oben bis unten verchromter, Arm. Zusammen mit seinem breiten und muskulösen Körper ergab sich ein sehr einschüchterndes Bild. Zum Glück war er auf ihrer Seite! Das hatte ihnen schon so manchen Ärger erspart.
Scarletts Fake-Adminzugang ersparte ihnen einiges an Arbeit. Sie hatte gute Vorarbeit geleistet, die sich nun auszahlte. Rexx konnte sich darauf konzentrieren, den richtigen Weg durch den Irrgarten aus immer gleichen und steril wirkenden Gängen und Räumen zu finden.
Menschen begegneten sie keinen. Mitten in der Nacht arbeitete auch hier niemand mehr und man verließ sich wohl weitestgehend auf elektronische Sicherheit. Allerdings zweifelte keiner der Drei daran, dass auch hier bewaffnete Wachen anwesend oder zumindest nicht weit waren. Also blieben sie trotz fehlender menschlicher Anzeichen leise und wachsam. Wer wollte sich schon freiwillig mit gut ausgestatteter und trainierter Kon-Sicherheit anlegen?
Schließlich erreichte das Trio ihr Ziel. Das Wort „ENTWICKLUNG“ prangte in großen, roten Lettern auf der Tür.
„Wartet hier. Ich sehe erst mal nach, ob die Luft rein ist.“, flüsterte Rexx, ehe er mit fliegenden Fingern das Touchpad an der Tür bediente.
Mit einem leisen, zischenden Geräusch glitt die Tür zur Seite auf und Rexx trat mit seiner Stungun im Anschlag ein. Nach einer halben Minute Anspannung, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, erschien er wieder in der Tür.
„Alles klar.“, signalisierte er knapp. „Dein Auftritt, Scarlett.“
Der Hauptanschluss war schnell gefunden. Die Rothaarige schloss ihr Cyberdeck an den Rechner an und begab sich ein zweites Mal per neuralem Interface in die mittelalterliche Arasaka-Burg.
Dieses Mal tauchte Scarlett gleich als rote Königin auf. Ihr Fake-Account war also noch nicht enttarnt worden. Sie fand sich in einem alten Gewölbe wieder. Das rötlich-braune Gestein wirkte feucht, hier und da sammelte sich Wasser in kleinen Pfützen auf dem Boden. Links und Rechts waren Gittertüren in den Stein eingelassen und dahinter verbargen sich Räume, die im Dunkeln lagen. Die flackernden Fackeln, die in regelmäßigen Abständen an der Wand angebracht waren, erhellten ausschließlich den Gang, in dem Scarlett stand.
„Verschlüsselte Datensätze. Ich sollte mich beeilen, den richtigen zu finden.“
Für genau solche Fälle hatte die Netrunnerin natürlich ihr Suchprogramm, welches sie selbst geschrieben und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten hatte. Tarnung zuerst, dann Geschwindigkeit. Entdeckt werden war für Anfänger.
Eine gerüstete Wache, die einen scharlachroten Waffenrock mit stilisierter Flamme auf der Brust trug, erschien neben Scarlett. Der Mann hatte eine große, hell lodernde Fackel in der Hand und trat sofort an die Tür des ersten Kerkers auf der rechten Seite des Ganges. Dahinter kam ein Gefangener zum Vorschein und beide führten ein kurzes Gespräch.
Scarlett schmunzelte. Die archaische Welt des Mittelalters war so völlig anders und fremdartig für sie. Trotzdem genoss sie es, sich an die Regeln dieser Kulisse anzupassen und mitzuspielen. Selbst wenn alles nur virtuell war. Aber ihr Leben spielte sich sowieso mehr im Cyberspace als in der Realität ab.
„Hab ich dich!“, jubelte Scarlett schließlich, nachdem ihr Suchprogramm den richtigen Datensatz ausfindig gemacht hatte.
Der fünfte Kerker beherbergte den passenden Gefangenen. Also entließ sie die Wache, die sich daraufhin in Luft auflöste, und sprach selbst mit dem Mann hinter Gittern.
Das unterirdische Gewölbe wich der kalten, sterilen Wirklichkeit des Untergrundkomplexes, als sich Scarlett samt der Daten erfolgreich aus dem Rechner ausloggte.
„Hab alles. Blos weg hier.“, sprach sie leise, packte die Kabel ein und schwang sich das Deck auf den Rücken.
Rexx grinste sie an. „Gewohnt schnell und professionell.“
Scarlett hatte im Netzwerk des Computers nur wenige Sekunden verbracht. Innerhalb des Cyberspace gaukelte das Interface einen normalen Zeitablauf vor, doch in der Realität ging alles rasend schnell.
Das Zischen der Tür erklang und Horg winkte seine beiden Begleiter hastig heran.
„Dann los!“
Der Rückweg verlief erneut ereignislos. Allerdings macht dieser Umstand Scarlett immer nervöser. Es konnte niemals so einfach sein, einen Megakon zu infiltrieren. Selbst eine geheime Einrichtung sollte mehr Sicherheit bieten als das, was ihnen begegnet war. Zwar vertraute sie in ihre Fähigkeiten als Hacker, aber dennoch blieb ein fader Beigeschmack.
Am Ausgang angekommen, wechselte Horg nach vorne und begab sich zuerst nach draußen. Nach kurzem Absichern folgten Rexx und Scarlett. Wie aus dem Nichts wurde der Hinterhof taghell von den Scheinwerfern eines Vans erleuchtet.
„Stehen bleiben, oder wir eröffnen das Feuer!“, rief die Stimme eines Mannes laut.
Die drei Runner tauschten einen schnellen Blick aus.
„Fuck!“, rief Horg laut und Scarlett zuckte zusammen.
Ein schneller Blick auf den Wagen lies mindestens drei Bewaffnete vermuten. Allerdings blendete das Licht und mehr als Silhouetten ließ sich nicht ausmachen.
„Auf mein Singal lauft ihr los.“, raunte Horg
„Welches Sig…?“
Weiter kam Scarlett nicht. Plötzlich hatte Horg sein Sturmgewehr im Anschlag und feuerte sofort los. Das laute Hämmern der Schüsse erfüllte die Nacht und kurz darauf war das Licht wieder aus. Scarlett konnte mindestens einen Schmerzensschrei hören. Horg hatte wohl nicht nur die Scheinwerfer getroffen. Allerdings kümmerte sie das gerade herzlich wenig. Es galt, das eigene Leben zu wahren und hier schnellstmöglich zu verschwinden.
Nun wurde auch auf sie geschossen. Feuerstöße erhellten die Dunkelheit und Kugeln prasselten gegen die Betonwände der Häuserschlucht. Auch ein geparktes Auto wurde in Mitleidenschaft gezogen. Scheiben zerbarsten klirrend, ein Reifen zischte laut auf und entließ seufzend die darin enthaltene Luft. Horg gab immer wieder einzelne Feuerstöße in Richtung des Vans ab, während er sich rückwärts bewegte, bis auch er endlich außer Sicht war. Das Trio rannte so schnell wie möglich zu ihrem Auto, das einige Straßen weiter geparkt war. Die ganze Zeit über erwartete Scarlett einen weiteren Angriff. Gehetzt warf sie einen Blick in jede Gasse, jeden Hauseingang, an dem sie vorbei rannte. Doch es geschah nichts.
„Das war verdammt knapp!“, presste Rexx schwer atmend hervor.
Horg saß wieder am Steuer und lenkte ihren Wagen auf möglichst nicht nachvollziehbarem Kurs durch Night City, weg von ihrem ehemaligen Ziel.
„Wie konnten die das wissen?“, fragte Scarlett in die Runde, ohne eine Antwort zu erwarten. „Ich hab‘ auf keinen Fall einen Alarm ausgelöst. Mein Account ist nicht entdeckt worden!“
„Keine Ahnung.“, entgegnete Horg. „Ist auch egal. Wir haben was wir brauchen, oder? Alles andere ist nebensächlich.“
Rexx nickte zustimmend und sah zu Scarlett.
„Ja, ich denke schon. Das sind die Baupläne für eine neue Maschinenpistole. Ich habe davon keine Ahnung, aber es sieht so aus, als hätte die einige Extras eingebaut.“
„Kein Wunder, dass der Job so gut bezahlt wird! Neues Spielzeug verkauft sich immer gut. Vor allem mit einem extra Kick.“, stellte Rexx lautstark fest.
Ein Wunder, dass die beiden Runner einen Job tatsächlich leise durchziehen konnten. Nun, da alles vorbei war, wurde die Lautstärke wieder auf Anschlag gedreht. Das Adrenalin der Schießerei hatte wohl auch ihren Teil dazu beigetragen. Dennoch lächelte Scarlett. Sie mochte die zwei Typen ja doch irgendwie und sie arbeiteten gut zusammen.
Scarlett hörte nur ihre eigene Atmung und das leise Wummern der elektronischen Beats des Nachtclubs, in dessen Backstage Bereich sie sich befand. Als nach einer gefühlten Ewigkeit noch immer nichts geschah, öffnete sie wieder ihre Augen. Noch immer standen die beiden Kon-Gorillas vor ihr, jedoch wurde keine Waffe mehr auf sie gerichtet. Die Pistolen waren verschwunden und wahrscheinlich wieder im Holster unter den teuren Jacketts versteckt. Stattdessen machte ihr Auftraggeber nun zwei Schritte auf sie zu. Noch immer stand dieses Businesslächeln in seinem zu perfekten und vermutlich chirurgisch angepasstem Gesicht.
„Meinen Glückwunsch, Scarlett. Sie haben bestanden.“, begann der Mann und klatsche dabei dreimal langsam in die Hände.
„Er hier,“, dabei sah der Exec auf den toten Rexx links von Scarlett, „hat leider den stillen Alarm ausgelöst, als er die Tür zur Entwicklung geknack hat. Tss Tss, stümperhaft.“
Er machte eine abfällige Geste, bevor er weiter sprach.
„Und der hier. Der war sowieso uninteressant. Wie Sie sehen, haben wir besseres Personal zu bieten.“
„Aber Sie,“, nun wandte er seinen Blick wieder zu Scarlett und sah ihr in die Augen, „Ja Sie könnte ich gebrauchen. Ihre Talente sind beeindruckend!“
Scarlett war noch immer etwas geschockt. Sie hatte keine Chance diesen Raum lebend zu verlassen, wenn es ihr Gegenüber nicht so wollte. Auch der Tod ihrer beiden Kumpel kroch erst langsam in ihr Bewusstsein.
„Arbeiten Sie für mich. Ich biete Ihnen die passenden Aufgaben für ihre Talente. Und sie kommen aus diesem Drecksloch Watson raus. Was sagen Sie?“
Plötzlich klang der skrupellose Exec einladend und freundlich. Ganz als würde Scarletts Leben nicht von ihrer Antwort abhängen und er müsste ihr den Job unbedingt schmackhaft machen. Doch ihr blieb keine andere Wahl. Und hatte sie das nicht sowieso immer für einen großen Konzern arbeiten wollen? Aber was hatte er damit gemeint, dass Rexx den Alarm ausgelöst hatte? Wie konnte er das überhaupt wissen? Scarletts Gedanken waren voller Fragen und ihr Kopf schwirrte.
Doch ihr Gegenüber erwartete zuerst eine Antwort und die musste sich die Rothaarige angesichts der Umstände nicht lange überlegen.
„Ja, ich bin dabei.“, sagte sie etwas weniger überzeugt, als sie es wollte.
„Hervorragend!“
Er lächelte nun breit und ehrlicher. Die reinen, weißen Zähne blitzten für einen Moment lang auf. Er ergriff Scarletts Hand und schüttelte sie.
„Herzlich willkommen bei Arasaka!“
Nicht jedes Kapitel wird ausufernd lange oder sehr actionreich sein. Ich möchte mir auch die Zeit nehmen, um meine Charaktere auszuarbeiten und vorzustellen. Also wird es auch ruhige Passagen geben. Aber natürlich habe ich auch schon einige Idee für spannende Action - innerhalb und außerhalb des Netzes!
Um Verwirrung zu vermeiden, fange ich natürlich wieder mit dem ersten Kapitel an, das ich ursprünglich für den Wettbewerb geschrieben habe.
Ich freue mich sehr über jegliches Feedback, egal ob positiv oder konstruktiv kritisch. Also immer her damit! Nur so kann ich besser werden.
Und nun wünsche ich euch viel Spaß mit Scarlett und ihren Erlebnissen in Night City!
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Kapitel 1
Der kleine Raum war plötzlich für eine Sekunde taghell erleuchtet und es krachte laut. Scarletts Ohren klingelten und sie nahm nur wage das Rumpeln der Körper wahr, die soeben links und rechts von ihr auf den Boden aufschlugen. Die Körper ihrer Weggefährten.
Vor Scarlett standen zwei große und breite Typen, die jeweils eine schwere Pistole im Anschlag hielten. Beide trugen teure schwarze Anzüge mit ebenfalls schwarzem Hemd und Krawatte und selbst im wenig beleuchteten Nachtclub hatte keiner von ihnen seine Sonnenbrille abgelegt.
„Style ist eben alles.“, hatte sich Scarlett noch vor ein paar Minuten gedacht.
Außer der verchromten Hand des Kerls links von ihr konnte Scarlett zwar keine Cyberware an ihnen erkennen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Unter der schicken Kleidung, die vermutlich teurer als ihr gesamter Besitz war, konnte sich so einiges verbergen. Alles an ihnen schrie förmlich nach Konzern-Bodyguard! Subtilität war definitiv nicht ihr Ding.
Und dann war da natürlich auch noch ihr eigentlicher Auftraggeber, der neben seinen Gorillas stand und die Show beobachtete. Er lächelte und sah Scarlett direkt an. War es das nun auch für sie? Eine Geste genügte und die Pistolen würden ein weiteres Mal sprechen. Die junge Frau schloss ihre Augen und atmete einmal tief durch. Dabei fragte sie sich, was eigentlich schief gelaufen war.
„Scarlett?“
Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter.
„Hey, Scarlett! Aufwachen! Wir sind gleich da.“, sagte Rexx lauter als nötig gewesen wäre.
Eine Strähne ihres leuchtend-roten Haares fiel ihr ins Gesicht, als sie ihren Kopf ruckartig zu ihrem Kumpel drehte. Sie sah ihn für einen Augenblick verwirrt an, was durch die eigenwillige Haarsträhne noch verstärkt wurde.
„Ja. Ja, ich weiß.“, murmelte Scarlett und drehte ihren Kopf wieder Richtung Fenster des kleinen Autos, in dem sie zu dritt saßen.
Sie hing noch immer ihren Gedanken hinterher, während die vielen Neonlichter der Stadt vor ihren Augen vorbei rauschten. Night City war so anders als ihre Heimat und auch nach sechs Monaten fühlte sie sich hier noch immer nicht zuhause. Vor allem nicht in Watson. Das heruntergekommene Viertel war auf keinen Fall der Ort, an dem sie ewig leben wollte. Auch wenn sie es geschafft hatte, relativ schnell Fuß zu fassen. Scarlett war sicher nicht die Sorte Frau, die gut darin war, andere Menschen kennenzulernen. Zumindest nicht außerhalb des Cyberspace, in dem sie sich sicher und stark fühlte. Andere, echte Menschen waren eigentlich nicht ihr Ding.
Und doch saß sie hier mit Rexx und Horg gemeinsam im Auto und fuhr einem weiteren Job entgegen, für den sie die Sicherheit ihrer kleinen Bude hatte verlassen müssen. Zumindest wusste Scarlett, dass sie sich auf ihre Begleiter verlassen konnte, was in ihrem Beschäftigungsfeld mehr wert als ein gefüllter Credchip war.
Die Rothaarige löste ihren Blick von dem Wirrwarr aus Farben und wandte sich ihrem Cyberdeck zu, das zwischen ihr und Rexx auf dem Rücksitz des Wagen lag. Sie nahm es auf und checkte es schnell und offensichtlich kundig noch einmal durch. Es durfte nichts schief gehen! Der Job war wichtig, gut bezahlt und vor allem eins: Ein Kon-Job! Scarlett träumte schon lange davon für einen Konzern zu arbeiten und irgendwann ganz oben zu sein. Andere verabscheuten die Konzerne und ihre Machenschaften, aber sie wollte dazugehören. Dieser Job konnte vielleicht die erste Stufe der Karriereleiter sein. Also musste alles perfekt laufen.
Der Wagen bog in eine dunkle Gasse ein und hielt.
„Wir sind da.“, rief Horg vom Fahrersitz aus nach hinten.
Wenn es eines gab, das Scarlett an ihren Jungs kritisieren würde, dann, dass sie immer zu laut redeten. Aber es gab wohl Schlimmeres als ihr ständiges Rufen, also versuchte sie es so gut es ging zu ignorieren. Vielleicht war auch die Stadt daran schuld, die mit ihrer Lautstärke dazu animierte, die Umgebung bei Gesprächen zu übertönen.
„Scarlett, du schaltest die Sicherheit aus.“, begann Horg damit, wie üblich ihren Plan nochmal durchzugehen.
„Ich will nicht der Star auf ihren Überwachungsvideos sein. Kapiert? Rexx kümmert sich um den Rest.“
Rexx war ihr Sicherheitsexperte und verstand sich hervorragend darauf, einen Ort ungesehen zu betreten und ihn ebenso - mit mehr Besitz als zuvor - wieder zu verlassen.
„Wir brauchen dich heute aber auch vor Ort. Du musst die Daten extrahieren. Wir gehen das Risiko nicht ein, dass Rexx von einem ICE gegrillt wird.“, führte Horg weiter aus.
Das war der Teil, der Scarlett weniger gefiel. Vor Ort zu sein bedeutete, sich der Gefahr völlig auszusetzen. Aber wofür hatte sie sonst eine Pistole?
„Besser haben und nicht brauchen als umgekehrt.“, hatte ihr Rexx mal gesagt.
Und sie stimmte vollkommen zu. Dank ihrer beiden Gefährten war Scarlett auch nicht völlig unbrauchbar mit einer Waffe in der Hand. Nur hatte sie bisher noch nie auf andere Menschen geschossen. Aber machte es wirklich einen Unterschied, ob sie im Cyberspace oder in der echten Welt kämpfte? Beides konnte Menschen töten. Allerdings wirkte es im Netz weit weniger real und sie konnte die Konsequenzen ihres Handelns in der echten Welt nicht sehen.
„Keine Sorge, ich passe auf euch auf.“, fügte Horg mit einem gewinnendem, selbstsicheren Grinsen hinzu.
„Also los.“, sagte Scarlett mehr zu sich selbst als zu den zwei Männern, bändigte ihre langen Haare mit einem Haargummi und stöpselte das Kabel ihres Decks in die Datenbuchse an ihrer rechten Schläfe ein. Sogleich wechselte ihre Bewusstsein von der realen in die Virtuelle Welt.
Das Ziel war schnell gefunden und nicht zu übersehen. Eine mittelalterliche Burg ragte über weiteren, nicht außergewöhnlich designten Netzwerken auf. Als sich Scarlett in Form einer kleinen, lodernden Flamme näherte, erkannte sie auch einen passenden Wassergraben um die Burg herum. Natürlich war die Zugbrücke geschlossen und auf den Zinnen konnte man zwei gerüstete Wachen patrouillieren sehen.
„Da war jemand wirklich kreativ.“, dachte sich die Frau, während sie ihr Tarnprogramm startete.
Mit dem ICE in Form der Wachen wollte sie keine Bekanntschaft machen. Immerhin hackte sie sich gerade in eine Einrichtung von Arasaka ein, falls ihre Infos korrekt waren. Und davon ging Scarlett natürlich aus. Immerhin hatte sie sie selbst besorgt.
Nach einigen Augenblicken änderte sich ihr Icon zu dem einer Königin, stilecht in ein scharlachrotes Gewand gekleidet. Der gefälschte Adminzugang war angelegt und als sie sich auf die Zugbrücke zubewegte, begann sich diese zu senken.
„Geschafft“, jubelte Scarlett innerlich auf und loggte sich aus.
„Es kann losgehen!“, berichtete die Rothaarige, während sie den Stecker aus ihrem Kopf entfernte.
Kurz darauf fanden sich Horg, Rexx und Scarlett in den Korridoren der unterirdischen Einrichtung wieder. Die Hintertür, welche Scarlett für sie gehackt hatte, führte direkt in den Keller des Gebäudes. Weder im Cyberspace noch irgendwo außerhalb hatte irgendwas auf eine Konzerneinrichtung hingewiesen. Was auch immer hier veranstaltet wurde, es war sicher nicht offiziell!
Jetzt war Rexx an der Reihe, seinem Metier nachzugehen und so setzte sich dieser an die Spitze des Trios. Scarlett hielt sich in der Mitte, während Horg nach hinten absicherte. Sein Sturmgewehr schindete mächtig Eindruck, ebenso wie sein rechter, von oben bis unten verchromter, Arm. Zusammen mit seinem breiten und muskulösen Körper ergab sich ein sehr einschüchterndes Bild. Zum Glück war er auf ihrer Seite! Das hatte ihnen schon so manchen Ärger erspart.
Scarletts Fake-Adminzugang ersparte ihnen einiges an Arbeit. Sie hatte gute Vorarbeit geleistet, die sich nun auszahlte. Rexx konnte sich darauf konzentrieren, den richtigen Weg durch den Irrgarten aus immer gleichen und steril wirkenden Gängen und Räumen zu finden.
Menschen begegneten sie keinen. Mitten in der Nacht arbeitete auch hier niemand mehr und man verließ sich wohl weitestgehend auf elektronische Sicherheit. Allerdings zweifelte keiner der Drei daran, dass auch hier bewaffnete Wachen anwesend oder zumindest nicht weit waren. Also blieben sie trotz fehlender menschlicher Anzeichen leise und wachsam. Wer wollte sich schon freiwillig mit gut ausgestatteter und trainierter Kon-Sicherheit anlegen?
Schließlich erreichte das Trio ihr Ziel. Das Wort „ENTWICKLUNG“ prangte in großen, roten Lettern auf der Tür.
„Wartet hier. Ich sehe erst mal nach, ob die Luft rein ist.“, flüsterte Rexx, ehe er mit fliegenden Fingern das Touchpad an der Tür bediente.
Mit einem leisen, zischenden Geräusch glitt die Tür zur Seite auf und Rexx trat mit seiner Stungun im Anschlag ein. Nach einer halben Minute Anspannung, die sich wie eine Ewigkeit anfühlte, erschien er wieder in der Tür.
„Alles klar.“, signalisierte er knapp. „Dein Auftritt, Scarlett.“
Der Hauptanschluss war schnell gefunden. Die Rothaarige schloss ihr Cyberdeck an den Rechner an und begab sich ein zweites Mal per neuralem Interface in die mittelalterliche Arasaka-Burg.
Dieses Mal tauchte Scarlett gleich als rote Königin auf. Ihr Fake-Account war also noch nicht enttarnt worden. Sie fand sich in einem alten Gewölbe wieder. Das rötlich-braune Gestein wirkte feucht, hier und da sammelte sich Wasser in kleinen Pfützen auf dem Boden. Links und Rechts waren Gittertüren in den Stein eingelassen und dahinter verbargen sich Räume, die im Dunkeln lagen. Die flackernden Fackeln, die in regelmäßigen Abständen an der Wand angebracht waren, erhellten ausschließlich den Gang, in dem Scarlett stand.
„Verschlüsselte Datensätze. Ich sollte mich beeilen, den richtigen zu finden.“
Für genau solche Fälle hatte die Netrunnerin natürlich ihr Suchprogramm, welches sie selbst geschrieben und auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten hatte. Tarnung zuerst, dann Geschwindigkeit. Entdeckt werden war für Anfänger.
Eine gerüstete Wache, die einen scharlachroten Waffenrock mit stilisierter Flamme auf der Brust trug, erschien neben Scarlett. Der Mann hatte eine große, hell lodernde Fackel in der Hand und trat sofort an die Tür des ersten Kerkers auf der rechten Seite des Ganges. Dahinter kam ein Gefangener zum Vorschein und beide führten ein kurzes Gespräch.
Scarlett schmunzelte. Die archaische Welt des Mittelalters war so völlig anders und fremdartig für sie. Trotzdem genoss sie es, sich an die Regeln dieser Kulisse anzupassen und mitzuspielen. Selbst wenn alles nur virtuell war. Aber ihr Leben spielte sich sowieso mehr im Cyberspace als in der Realität ab.
„Hab ich dich!“, jubelte Scarlett schließlich, nachdem ihr Suchprogramm den richtigen Datensatz ausfindig gemacht hatte.
Der fünfte Kerker beherbergte den passenden Gefangenen. Also entließ sie die Wache, die sich daraufhin in Luft auflöste, und sprach selbst mit dem Mann hinter Gittern.
Das unterirdische Gewölbe wich der kalten, sterilen Wirklichkeit des Untergrundkomplexes, als sich Scarlett samt der Daten erfolgreich aus dem Rechner ausloggte.
„Hab alles. Blos weg hier.“, sprach sie leise, packte die Kabel ein und schwang sich das Deck auf den Rücken.
Rexx grinste sie an. „Gewohnt schnell und professionell.“
Scarlett hatte im Netzwerk des Computers nur wenige Sekunden verbracht. Innerhalb des Cyberspace gaukelte das Interface einen normalen Zeitablauf vor, doch in der Realität ging alles rasend schnell.
Das Zischen der Tür erklang und Horg winkte seine beiden Begleiter hastig heran.
„Dann los!“
Der Rückweg verlief erneut ereignislos. Allerdings macht dieser Umstand Scarlett immer nervöser. Es konnte niemals so einfach sein, einen Megakon zu infiltrieren. Selbst eine geheime Einrichtung sollte mehr Sicherheit bieten als das, was ihnen begegnet war. Zwar vertraute sie in ihre Fähigkeiten als Hacker, aber dennoch blieb ein fader Beigeschmack.
Am Ausgang angekommen, wechselte Horg nach vorne und begab sich zuerst nach draußen. Nach kurzem Absichern folgten Rexx und Scarlett. Wie aus dem Nichts wurde der Hinterhof taghell von den Scheinwerfern eines Vans erleuchtet.
„Stehen bleiben, oder wir eröffnen das Feuer!“, rief die Stimme eines Mannes laut.
Die drei Runner tauschten einen schnellen Blick aus.
„Fuck!“, rief Horg laut und Scarlett zuckte zusammen.
Ein schneller Blick auf den Wagen lies mindestens drei Bewaffnete vermuten. Allerdings blendete das Licht und mehr als Silhouetten ließ sich nicht ausmachen.
„Auf mein Singal lauft ihr los.“, raunte Horg
„Welches Sig…?“
Weiter kam Scarlett nicht. Plötzlich hatte Horg sein Sturmgewehr im Anschlag und feuerte sofort los. Das laute Hämmern der Schüsse erfüllte die Nacht und kurz darauf war das Licht wieder aus. Scarlett konnte mindestens einen Schmerzensschrei hören. Horg hatte wohl nicht nur die Scheinwerfer getroffen. Allerdings kümmerte sie das gerade herzlich wenig. Es galt, das eigene Leben zu wahren und hier schnellstmöglich zu verschwinden.
Nun wurde auch auf sie geschossen. Feuerstöße erhellten die Dunkelheit und Kugeln prasselten gegen die Betonwände der Häuserschlucht. Auch ein geparktes Auto wurde in Mitleidenschaft gezogen. Scheiben zerbarsten klirrend, ein Reifen zischte laut auf und entließ seufzend die darin enthaltene Luft. Horg gab immer wieder einzelne Feuerstöße in Richtung des Vans ab, während er sich rückwärts bewegte, bis auch er endlich außer Sicht war. Das Trio rannte so schnell wie möglich zu ihrem Auto, das einige Straßen weiter geparkt war. Die ganze Zeit über erwartete Scarlett einen weiteren Angriff. Gehetzt warf sie einen Blick in jede Gasse, jeden Hauseingang, an dem sie vorbei rannte. Doch es geschah nichts.
„Das war verdammt knapp!“, presste Rexx schwer atmend hervor.
Horg saß wieder am Steuer und lenkte ihren Wagen auf möglichst nicht nachvollziehbarem Kurs durch Night City, weg von ihrem ehemaligen Ziel.
„Wie konnten die das wissen?“, fragte Scarlett in die Runde, ohne eine Antwort zu erwarten. „Ich hab‘ auf keinen Fall einen Alarm ausgelöst. Mein Account ist nicht entdeckt worden!“
„Keine Ahnung.“, entgegnete Horg. „Ist auch egal. Wir haben was wir brauchen, oder? Alles andere ist nebensächlich.“
Rexx nickte zustimmend und sah zu Scarlett.
„Ja, ich denke schon. Das sind die Baupläne für eine neue Maschinenpistole. Ich habe davon keine Ahnung, aber es sieht so aus, als hätte die einige Extras eingebaut.“
„Kein Wunder, dass der Job so gut bezahlt wird! Neues Spielzeug verkauft sich immer gut. Vor allem mit einem extra Kick.“, stellte Rexx lautstark fest.
Ein Wunder, dass die beiden Runner einen Job tatsächlich leise durchziehen konnten. Nun, da alles vorbei war, wurde die Lautstärke wieder auf Anschlag gedreht. Das Adrenalin der Schießerei hatte wohl auch ihren Teil dazu beigetragen. Dennoch lächelte Scarlett. Sie mochte die zwei Typen ja doch irgendwie und sie arbeiteten gut zusammen.
Scarlett hörte nur ihre eigene Atmung und das leise Wummern der elektronischen Beats des Nachtclubs, in dessen Backstage Bereich sie sich befand. Als nach einer gefühlten Ewigkeit noch immer nichts geschah, öffnete sie wieder ihre Augen. Noch immer standen die beiden Kon-Gorillas vor ihr, jedoch wurde keine Waffe mehr auf sie gerichtet. Die Pistolen waren verschwunden und wahrscheinlich wieder im Holster unter den teuren Jacketts versteckt. Stattdessen machte ihr Auftraggeber nun zwei Schritte auf sie zu. Noch immer stand dieses Businesslächeln in seinem zu perfekten und vermutlich chirurgisch angepasstem Gesicht.
„Meinen Glückwunsch, Scarlett. Sie haben bestanden.“, begann der Mann und klatsche dabei dreimal langsam in die Hände.
„Er hier,“, dabei sah der Exec auf den toten Rexx links von Scarlett, „hat leider den stillen Alarm ausgelöst, als er die Tür zur Entwicklung geknack hat. Tss Tss, stümperhaft.“
Er machte eine abfällige Geste, bevor er weiter sprach.
„Und der hier. Der war sowieso uninteressant. Wie Sie sehen, haben wir besseres Personal zu bieten.“
„Aber Sie,“, nun wandte er seinen Blick wieder zu Scarlett und sah ihr in die Augen, „Ja Sie könnte ich gebrauchen. Ihre Talente sind beeindruckend!“
Scarlett war noch immer etwas geschockt. Sie hatte keine Chance diesen Raum lebend zu verlassen, wenn es ihr Gegenüber nicht so wollte. Auch der Tod ihrer beiden Kumpel kroch erst langsam in ihr Bewusstsein.
„Arbeiten Sie für mich. Ich biete Ihnen die passenden Aufgaben für ihre Talente. Und sie kommen aus diesem Drecksloch Watson raus. Was sagen Sie?“
Plötzlich klang der skrupellose Exec einladend und freundlich. Ganz als würde Scarletts Leben nicht von ihrer Antwort abhängen und er müsste ihr den Job unbedingt schmackhaft machen. Doch ihr blieb keine andere Wahl. Und hatte sie das nicht sowieso immer für einen großen Konzern arbeiten wollen? Aber was hatte er damit gemeint, dass Rexx den Alarm ausgelöst hatte? Wie konnte er das überhaupt wissen? Scarletts Gedanken waren voller Fragen und ihr Kopf schwirrte.
Doch ihr Gegenüber erwartete zuerst eine Antwort und die musste sich die Rothaarige angesichts der Umstände nicht lange überlegen.
„Ja, ich bin dabei.“, sagte sie etwas weniger überzeugt, als sie es wollte.
„Hervorragend!“
Er lächelte nun breit und ehrlicher. Die reinen, weißen Zähne blitzten für einen Moment lang auf. Er ergriff Scarletts Hand und schüttelte sie.
„Herzlich willkommen bei Arasaka!“
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